Die Fähigkeit des Menschen sich zu erinnern ist
grundlegendes Prinzip
unserer Kultur und wesentlicher Bestandteil dessen, wodurch sich unsere
Gesellschaft definiert. Museen, Archive, Datenbanken und Netzwerke bestimmen
das Bild, das wir uns von der Gesellschaft machen.
Unser Drang, Informationen zu sammeln und aufzuschreiben, systematisch zu
katalogisieren, zu archivieren und zu musealisieren, letztlich das
aufzubewahren, was als wichtig genug erachtet wird, um es der Nachwelt zu
übermitteln und für sie zu erhalten, hat mit dem digitalen Zeitalter
das
Ausmaß eines gewaltigen Datenstroms erreicht.
Archive sind nicht nur die Ansammelung von Informationen, sie verdeutlichen
auch den Schutz vor dem drohenden Verlust der Dinge - die Versuchung liegt
also nahe, alles zu speichern, damit nichts verloren geht. Expandierende
Kommunikationswege, vielfältige Speichermöglichkeiten und umfassende
Metaverschlagwortung sorgen für das Anwachsen digitaler Archive. Offen
bleibt die Frage, ob das höhere Datenaufkommen Ursache für die Entwicklung
neuer Speichermedien ist oder durch die größeren Speicherkapazitäten
der
Produktion von Datenmüll Raum gegeben wird. Wie viel Archivare braucht
es,
um die angehäuften Datenmengen zu bewegen, und wer ist überhaupt noch
in der
Lage, diese zu benutzen? Nach welchen Kriterien wird selektiert, was
aufbewahrt werden soll und was vergessen werden darf oder muss?
Speichermedien bestimmen, in welcher Form Information erhalten bleibt, und
geben damit vor, ob und wie Daten wieder abgerufen werden können und was
als
Ereignis überhaupt archivierbar ist. Versteht man Erinnerung als Grundlage
von Kultur, bestimmen Speichermedien und der Umgang mit ihnen wesentlich,
was überhaupt als Kultur definiert wird und Eingang ins öffentliche
Bewusstsein findet.
Das Vertrauen in die Perfektion der Aufzeichnungstechnologien, Archivierung
und kollaborativen Filtermechanismen verändert die Wahrnehmung von Realität.
Das Wissen um die Möglichkeit, alles speichern und für den späteren
Gebrauch
wieder abrufen zu können, schmälert die Bereitschaft, sich auf den
Augenblick zu konzentrieren. Kondensierte Information als Ergebnis von
Aufzeichnungs- und Filterprozessen wird oft als vielfach effektiver
empfunden als das direkte Erleben und Aufnehmen einer Live-Situation.
Wie haltbar ist der Moment? Was ist die Qualität des Flüchtigen? Wer
überblickt die Datenmassen und wer hinterfragt die Vermittlungs- und
Zugangsmöglichkeiten? Wo stoßen herkömmliche Speichertechnologien
an ihre
Grenzen? Wie werden Archivierungsmöglichkeiten sinnvoll weitergedacht?
Welche Filter trennen Wichtiges von Unwichtigem? Wie produktiv ist das
Vergessen? garage 05 sucht nach künstlerischen Positionen, die sich kritisch
mit Technologien und Mechaniken des Speicherns, Archivierens und Vergessen
auseinandersetzen.
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Ausschreibung
9. Festival garage Stralsund
22.07. - 13.08.2005
FORGET IT!
don't trust your archives
Daten, Bilder, Töne, Begriffe, Definitionen, Zeichen, Kontakte, biometrische
Informationen, Briefmarken ... Unsere Kultur ist geprägt vom Drang zu
sammeln und zu archivieren, zu speichern und zu katalogisieren, zu
systematisieren und festzuschreiben. Da wir Dank Digitalisierung von der
lästigen Verpflichtung befreit sind, uns entscheiden zu müssen, was
sich
aufzubewahren lohnt, sichern wir lieber alles und entscheiden später, was
wir davon brauchen.
Das Vertrauen in die Perfektion von Aufzeichnungstechnologien,
Datenbanksystemen, Suchalgorithmen und kollaborativen Filtermechanismen
verändert die Wahrnehmung von Realität. Das Wissen um die Möglichkeit,
alles
speichern und für den späteren Gebrauch wieder abrufen zu können,
verringert
unsere Bereitschaft zur Konzentration auf den Moment.
Nicht das Ereignis ist wichtig, sondern die kondensierte Information im
praktischen Speicherformat.
Referenz ist Sicherheit. Das Terrain des als gesichert Geltenden zu
verlassen, ist Risiko.
Imperfektion, Zufall, Spontanität ç was lässt sich nicht speichern,
aufzeichnen und dokumentieren? Was ist die Qualität des Flüchtigen?
Wie viel
Sinn macht ein Archiv, wenn sich niemand dafür interessiert? Wie produktiv
ist das Vergessen?
Umschreiben von Regeln, Abbrechen von Prozessen, Auswählen und Löschen
-
garage 05 sucht nach künstlerischen Ansätzen und Positionen,
die sich
kritisch mit Technologien und Mechaniken des Speicherns, Archivierens und
Vergessen auseinandersetzen.
Eingereicht werden können Vorschläge und Konzepte für Ausstellungen,
Installationen, Performances, Projekte, Vorträge und Workshops.
Trash your archives, but donœt forget to make a backup!
In Kooperation mit dem deutsch-polnischen Projekt Radio_Copernicus
wird
während des Festivals garage die Realisierung von Radioprojekten möglich
sein. Das von Juli bis Dezember nacheinander an mehren Orten in Deutschland
und Polen produzierende und sendende Radio_C wird parallel zum Festival
garage zum ersten Mal auf Sendung gehen. In Stralsund wird Radio_C im
Stadtraum auf UKW und überall sonst per Livestream zu hören
sein.
Zusätzlich zur allgemeinen Ausschreibung des Festivals garage 05 besteht
somit die Möglichkeit, Projekte, die sich des Mediums Radio bedienen,
vorzuschlagen. Es können bereits realisierte Radioarbeiten oder auch Projekte,
die während des Festivals produziert werden sollen, eingereicht werden.
Einsendeschluss für Material und Vorschläge ist der 2. Mai 2005.
Anmeldeformular:
www.garage-g.de/call05/garage-05.pdf
Festival garage
Kastanienallee 73
10435 Berlin
Germany
questions?
+49 (0) 30 441 20 15
info@garage-g.de
A c h t u n g !!
g-niale short film festival hat einen separates Anmeldeformular:
www.garage-g.de/call05/g-niale-05.pdf