Krachtgever (1994
- 97) Peter Bosch und Simone Simons
(NL/E)
2,5 x 12 m Klangmaschine - Installation
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Die wechselseitige Beziehung von Chaos und Ordnungsfaktoren ist
ein Thema, das sich in den meisten Installationen von Bosch und
Simons wieder findet und ihren Gebrauch von Technologie maßgeblich
bestimmt. Ihre computergesteuerten Klangmaschinen sind für
Aug und Ohr, sind Konzert und Ausstellung zugleich. Im Zuge unserer
Arbeit zum Thema »Resonanzstimulation durch mechanische Vibration«
lag unser Hauptinteresse nicht in der Verstärkung bloß
einer Frequenz, sondern in der Erzeugung eines komplexen Systems,
innerhalb dessen unterschiedlichste Frequenzen einander gegenseitig
beeinflussen. Dies erzeugt ein instabiles Gleichgewicht, das schon
durch die geringste Veränderung hinreichend gestört werden
konnte, um ein unvorhersehbares Ergebnis zu erzielen. Die erzwungenen
und die natürlichen Frequenzen der Objekte sind so aufeinander
abgestimmt, dass die von der Installation erzeugten Bewegungen und
Klänge sich fast unmerklich von Ordnung und Chaos und umgekehrt
verändern können. Die Rolle des Computers dabei ist fast
paradox: Obwohl der Rechner die Mechanik steuert (Elektromotoren),
kann er nur teilweise das physikalische Ergebnis seiner Entscheidungen
vorhersehen. Neben instabilem Gleichgewicht, neben Ordnung und Chaos
ist Klang ein weiterer Faktor: Die schiere Macht des Klanges und
die Manifestation der Existenz von Klang (Musik) ist ein integraler
Bestandteil aller unserer Installationen. Das Medium Klang gibt
uns Macht über einen bestimmten Raum, es erfüllt diesen
Raum: Der Krachtgever erlaubt uns, Vibrationen zu erzeugen, mit
denen wir den Raum füllen - und Klangwellen sind letztendlich
auch nur Schwingungen.
Der Krachtgever (»Kraftgeber«) besteht aus mindestens
sieben, maximal vierzehn je 2,5 Meter hohen Stapeln von jeweils
vier hölzernen Kisten, mit einer Gesamtbreite von sechs bis
zwölf Metern. Die Kisten werden untereinander horizontal und
vertikal mit Metallfedern verbunden. An jedem Stapel wird ein Schwingungsmotor
angebracht. Diese Motoren werden durch einen Computer gesteuert,
der durch unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeit der Motoren
interessante Interferenzen zwischen den generierten Schwingungen
und den Resonanzfrequenzen der Kisten hervorrufen kann. Je nach
der gewählten Motor- und Frequenzkombination kann jede einzelne
der Kisten in Schwingungen versetzt werden, es kann aber auch ein
gesamter Stapel in periodische Bewegung gesetzt werden. Es ist auch
möglich, Kombinationen von Schwingungen simultan an verschiedenen
Positionen
des Gesamtsystems auftreten zu lassen. Jede Kiste enthält unterschiedliche
Materialien. Diese »Rasseln« aus unterschiedlichem Material,
von verschiedenem Gewicht und Klang haben wiederum ihre eigenen
Resonanzcharakteristiken. Durch einen Schwingungsmotor stimuliert,
produzieren die Schwingungen all dieser Elemente - Federn, Kisten,
»Rasseln« in den Kisten usw. - ein extrem komplexes
Ganzes. Die außerordentlich komplexen physikalischen Eigenschaften
der Konstruktion selbst garantieren noch unvorhersehbare Ergebnisse
auf der Mikroebene, und hier wird die Zukunft auch von der Vergangenheit
mitbestimmt: Eine starke Resonanz einer Box (oder mehrerer Boxen)
endet nicht abrupt, sondern schwingt nach und beeinflusst daher
das Ergebnis der folgenden Phrase. Diese bedeutet, dass dieselbe
Phrase je nach der vorhergehenden anders klingt. Darüber hinaus
wird bei jeder Performance die Installation den räumlichen
und akustischen Gegebenheiten entsprechend verändert.
Text: Bosch & Simons, Übersetzung: Helmut Einfalt. Aus:
"Cyberarts98", Hrsg: Hannes Leopoldseder, Christine Schöpf,
Springer Verlag Wien, New York, 1998, pp. 200-203
Peter Bosch (*1958) studierte an der
Universität von Leiden und Amsterdam (1976-83) Psychologie
und Sonologie am Königlichen Konservatorium in Den Haag (1986-87).
> http://www.boschsimons.com
Simone Simons (*1961) studierte in der
audio-visuellen Abteilung der Gerrit Rietveld Kunstakademie in Amsterdam
(1980-85). Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit 1985 haben sich Bosch
& Simons mit einer ganzen Reihe von Aktivitäten wie Performances,
Konzerte und Theaterproduktionen beschäftigt. In den letzten
zehn Jahren haben sie sich hingegen besonders auf die Entwicklung
»musikalischer Maschinen« konzentriert, die, durch das
Balancieren am Rand von Ordnung und Chaos, bestimmte kreative Kräfte
besitzen. Ihre Arbeiten wurden gezeigt u.a. im ZKM Karlsruhe (1991
und 93), auf ARTEC 95, Nagoya und auf der ISEA 95, 96, 2000 und
2002 (Montréal, Rotterdam, Paris, Nagoya). Auf der Prix Ars
Electronica 1998 in Linz erhielten sie eine Goldene Nica in der
Sektion Computermusik für die Krachtgever-Installation. Beim
29. Wettkampf der elektroakustischen Musik und Klangkunst in Bourges
2002 erhielt ihre Arbeit »Cantan un Huevo« eine besondere
Erwähnung in der Kategorie »work for installation or
environment«.
Realisiert mit freundlicher Unterstützung:
Königlich Niederländische Botschaft und Institut Valencia
de la Musica
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